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Wir sehen die Wirtschaft als einen elementaren Treiber für eine gelingende sozial-ökologische Transformation. Unternehmen wirken in vielerlei Hinsicht kulturbildend: durch die Produkte, die sie produzieren, die Geschichten, die sie erzählen...aber vor allem durch die vielen Menschen, die in ihnen arbeiten, wirken, sich begegnen und sich entwickeln.
In meiner Masterarbeit „Silence Spaces in Unternehmen:- Stille und Achtsamkeit als Beitrag zu einer lebensdienlichen Wirtschaft“ habe ich zunächst einen kritischen Blick auf unser momentanes Wirtschaftssystem und Menschenbild geworfen, um die Notwendigkeit und die Herausforderungen einer tiefen Transformation zu verdeutlichen.
Ein wichtiger Hebel für diese Transformation stellt die Unternehmenskultur dar, welche durch Organisationsentwicklung beeinflussbar ist. Im Fokus steht dabei der Mensch, als handelnder Akteur. In meiner Arbeit betrachte ich die Grundlagen für Veränderung bei den beteiligten Menschen entlang der Dimensionen Öffnung des Denkens, des Fühlens und des Willens (Theorie U von Otto Scharmer). Für diese Öffnung und den gelingenden inneren wie äußeren Wandel zeigen Stille und Achtsamkeit ein großes transformatives Potential.
In Gesprächen mit Pionieren des Wandels wollte ich herausfinden ob diese Potentiale in der Praxis Relevanz haben und ob Stille und Achtsamkeit als transformative Instrumente gesehen und genutzt werden. (Hier könnt ihr die Experteninterviews als Podcasts anhören. Zusätzlich findet ihr dort Zusammenfassungen der Gespräche und nützliche Links zur Vertiefung.)
Spoiler 😊: Jaaa Stille und Achtsamkeit sind in ihrer Kombination sehr wirkungsvoll um ganzheitliche Veränderungen auf individueller, organisationaler und gesellschaftlicher Ebene zu bewirken. Die Einbettung von Praktiken der Stille zur Entwicklung einer achtsamen Haltung erscheint daher als sehr zielführend, um zukunftsfähige Unternehmenskulturen und die Entwicklung einer lebensdienlichen Wirtschaft zu unterstützen. Wichtig dabei ist Strukturen und eine Kultur zu entwickeln, die Freiräume schaffen und Stille als Haltung und Nicht-Aktivität wertschätzten.
Eine Möglichkeit diese Freiräume in den Unternehmensalltag zu integrieren stellt die Implementierung von Silence Spaces (physische und nicht-physische Räume) dar. Doch bevor ich euch die Idee der Silence Spaces konkreter vorstelle, möchte ich zunächst zeigen wie die befragten Pioniere des Wandels zukunftsfähige Organisationen sehen und welche Bedeutung Stille und Achtsamkeit für sie haben.
Organisationen sind an sich sehr komplexe Konstrukte: zum einen sind da die sichtbaren Strukturen, Prozessen und Praktiken (kollektive/systemische & äußere Perspektive) und das ebenfalls sichtbare Verhalten der Mitarbeiter (individuelle & äußere Perspektive). Auf der anderen Seite gibt es die unsichtbaren Denkweisen und Überzeugungen der Menschen (individuelle & innere Perspektive) und die ebenfalls unsichtbare Organisationskultur (kollektive/systemische & äußere Perspektive). Um dieses komplexe Gefüge zu verstehen und zu beschreiben, hilft die integrale Theorie und das vier Quadrantenmodell von Ken Wilber.
Dieses Modell zeigt auch besonders schön wie wichtig das Wechselspiel zwischen Außen- und Innenperspektive ist: wie Strukturen zum Beispiel die innere Haltung beeinflussen können. Wichtig dabei ist, dass Veränderungen meist nur vollumfänglich wirkungsvoll sind, wenn sie auf allen Ebenen ablaufen. Ich möchte in diesem Blogartikel nicht im Detail darauf eingehen, aber wenn ihr Fragen dazu habt meldet euch gerne oder lest hier weiter...Hier möchte ich euch nur eine Übersicht geben, welche Aspekte die Pioniere des Wandels in den einzelnen Ebenen als wichtig erachten:
Diese Übersicht ist natürlich nur ein Ausschnitt, aber sie gibt uns bereits eine Vorstellung welche Aspekte in einer Organisation lebendig sind und wie diese zusammenwirken. Ich möchte das am Beispiel der Stille verdeutlichen.
Individuelle Perspektive: Stille im Sinne eines Innehaltens dehnt den Raum zwischen Reiz und Reaktion. Das bedeutet unter anderem Selbstwirksamkeit zu erfahren, indem auf äußere und innere Reize bewusster reagiert werden kann. Somit bekommen wir die Möglichkeit etwas Neues in die Welt zu bringen, anstatt lediglich reaktive Gewohnheitsmuster zu benutzen (raus aus dem Autopilotmodus). Stille kann uns außerdem dabei helfen, wieder klarer zu sehen, zu denken und ruhiger zu werden. Dadurch kann die Fähigkeit der Introspektion, also der Wahrnehmung von eigenen Mustern und Glaubenssätzen, gesteigert werden. Nehme ich mich selbst besser wahr und kann meine Reaktionen und Emotionen besser einschätzen, steigt gleichzeitig meine Fähigkeit zu Empathie und sorgt somit für eine höhere Verbundenheit.
Eine treffende Beschreibung, wie sich Stille und Achtsamkeit auf die individuelle Perspektive, den kulturellen Wandel in Organisationen und als Folge dessen auf eine lebensdienliche Wirtschaft und das globale Ökosystem auswirken kann, wird von Svea von Hehn in ihrem Buch „Kulturwandel in Organisationen“ gegeben:
Systemische Perspektive: Stille und Achtsamkeit können durch die Förderung von emotionaler Intelligenz grundsätzlich zur Entwicklung von heilsamen Beziehungen beitragen und unterstützen dadurch ganz konkret Aspekte wie Kooperation und Verbundenheit. Damit Stille aber nicht nur auf der individuellen Ebene wirkt, muss ihr vom System entsprechend Raum gegeben werden: es müssen Muster und Routinen entwickelt werden, welche die Verlangsamung, das Innehalten, die Nicht- Aktivität fördern. Das ist gerade für viele Unternehmen eine große Herausforderung, da normalerweise die Betriebsamkeit viel höher gewertschätzt wird als die Achtsamkeit. Doch gerade für die Weiterentwicklung, die Kreativität und somit die Innovationsfähigkeit ist Stille enorm wirkungsvoll. Denn das Neue braucht Raum zum Landen! Und diesen findet es in den Momenten der Nicht- Aktivität. Viele Wissen es unbewusst, dass die besten Ideen unter der Dusche, beim Spazieren oder bei sonstigen nicht-zielgerichteten Aktivitäten kommen. Solche Freiräume können durch Unternehmen instituionalisiert und somit wertgeschätzt werden.
Doch die spannende Frage ist nun, wie lassen sich Stille und Achtsamkeit in den Unternehmensalltag integrieren?
Die befragten Unternehmen nutzen unterschiedliche Praktiken der Stille: Minute der Stille (vor Meetings), Momente der Stille (ohne konkreten Anlass) und der physische Raum der Stille. Im Folgenden werden die Praktiken der Stille im Einzelnen, aber in aller Kürze vorgestellt:
Minute der Stille
Die am häufigsten verwendete Praktik ist die Minute der Stille vor Meetings. Diese wird von allen befragten Unternehmen genutzt und als sehr wert- und wirkungsvoll geschätzt. Die Ausgestaltung variiert von einem gemeinsamen Sein in Stille bis zu einer geführten Meditation. Die Wirkung dieser Methode fasst Marco Harenberg mit folgenden Worten sehr gut zusammen:
Momente der Stille
Als weitere Praktik wurden die Momente der Stille ausgewertet. Diese werden ebenfalls von allen Unternehmen als äußerst wertvoll und wichtig erachtet. Bei The Dive gibt es eine charmante Erinnerung in Form eines Gongs, welcher im Büro geschlagen wird und dazu einlädt einen Moment innezuhalten und durchzuatmen. Die Bedeutung dieser Momente wird sehr anschaulich von Doris Raßhofer beschrieben:
Raum der Stille
Vier von fünf befragten Unternehmen nutzen bereits einen Raum der Stille. Es kann dabei zwischen temporären und dauerhaften Räumen der Stille unterschieden werden. Die zwei produzierenden Unternehmen realisieren dauerhafte Räume, welche ausschließlich der Stille in Form von Meditation oder der bewussten Nicht-Aktivität gewidmet sind. Bei Upstalsboom steht es den Mitarbeitern grundsätzlich frei, in ihrer Arbeitszeit zu tun, was ihnen weiterhilft, worunter auch die Nutzung des Raums der Stille fällt. Bei gugler* zählt es dagegen nicht zur Arbeitszeit. Dort wird der Raum momentan aktuell nicht allzu stark genutzt. Dies wird unter anderem darauf zurückgeführt, dass die Leistungsmentalität, Arbeit finde in Aktivität statt, nach wie vor vorherrschend ist. Bei den Transformationsbegleitern gibt es bei den Sustainable Natives einen dauerhaften Raum der Stille, der jedoch auch zum Telefonieren oder dem konzentrierten Arbeiten genutzt werden kann. Bei den Sustainable Natives gibt es mehrere Räume, die leicht umfunktioniert werden können. Besonders die sogenannten Telefonkabinen werden häufig auch zur Meditation genutzt. In den Morgenstunden werden teilweise auch größere Räume für Gruppenmeditationen genutzt.
Neben diesen expliziten Praktiken der Stille werden von den befragten Unternehmen viele weitere Methoden genutzt, um Zeit und Raum zur Reflexion zu schaffen. Die Schaffung von Freiräumen unterstützt die Bewusstheit, dass nicht nur Aktivitäten, die im direkten Zusammenhang mit der Leistungserstellung stehen, wertgeschätzt werden.
Silence Spaces
Kommen wir nun also schließlich zu den Silence Spaces :-). Die befragten Unternehmen haben für sich eine positive Wirkung festgestellt und nutzen die genannten Praktiken sowohl zur persönlichen Entwicklung als auch zur Entwicklung der Organisation als Ganzes. Praktiken, wie die Minute der Stille werden daher institutionalisiert und in Prozesse und Strukturen übersetzt. Wie oben beschrieben verwenden die befragten Unternehmen unterschiedliche Methoden, um Freiräume für Reflexionen und Emotionen zu bieten. Um diese zusammenzuführen, habe ich den Begriff der Silence Spaces eingeführt.
Silence Spaces sind Räume der Stille, welche zum Innehalten, Reflektieren und Selbstwahrnehmen einladen. Sie sind konsum- und wertfrei und erlauben dadurch den Moment und das Selbst – ohne äußere Einflüsse wahrzunehmen. Sie laden zur Achtsamkeitspraxis und Meditation ein – können aber auch ohne gezielte Intention zur Entspannung und Entschleunigung genutzt werden. Die Räume können sowohl physischer als auch geistiger Art, im Sinne von gedanklichen Räumen, sein.
Die gedanklichen Räume der Stille sind vor allem bewusste Momente der Stille, wie die häufig verwendete Minute der Stille vor Meetings. Gerade diese bewussten Momente beinhalten ein großes transformatives Potential und sind relativ leicht anzuwenden. Die Schwierigkeit besteht hauptsächlich darin sich in der Hektik des Alltages daran zu erinnern und Momente des Innehaltens in den Alltag zu integrieren. Doris Raßhofer beschreibt in ihrem Interview, dass sie sich mentale Stoppschilder wünscht, die sie an die Stille erinnern sollen. Als solche Stoppschilder können Silence Spaces fungieren. Bei The Dive werden diese mentalen Räume der Stille während des Büroalltages mit Hilfe eines Gongs geschaffen. Apps stellen eine weitere Möglichkeit der Erinnerung an Stille dar. Achtsamkeits-Apps finden auch in der Unternehmenswelt zunehmend eine starke Verbreitung. Der Vorteil besteht darin, dass sie neben der Erinnerung ans Innehalten auch gezielte Meditationen zur Ausprägung einer achtsamen Haltung beinhalten. Weitere Möglichkeiten, um mentale Silence Spaces in den Alltag zu integrieren sind Poster und Bilder, welche Erinnerungsbotschaften beinhalten. Svea von Hehn beschreibt in ihrem Interview, wie die Mitarbeiter*innen eines Unternehmens nach der Absolvierung eines Achtsamkeitstrainings solche Botschaften aufgehängt und zusätzlich einen physischen Raum der Stille ins Leben gerufen haben. Eine weitere Möglichkeit besteht darin sich Silence Spaces, also Momente des Innehaltens, in den Kalender einzutragen.
Alle befragten Unternehmen kennen oder nutzen physische Räume der Stille. Physische Räume haben für die kulturelle Entwicklung insgesamt eine große Bedeutung, da durch sie vieles aus der unsichtbaren Ebene ins Sichtbare gehoben werden kann. Gerade für ein Thema wie Stille und Achtsamkeit, welches bisher oft noch eher als privat und nicht-produktiv gilt, kann es sehr hilfreich sein, eine Manifestation in Form eines physischen Raumes zu erschaffen. Hierdurch wird das Thema der Stille und Achtsamkeit quasi aus der individuellen Praxis zur Potentialentfaltung in die sichtbare kollektive Ebene des Unternehmens gehoben. Diese Manifestation beinhaltet eine deutliche Wertschätzung für Stille und Achtsamkeit. Darüber hinaus sind physische Silence Spaces natürlich die deutlichste Erinnerung, sich selbst mentale Silence Spaces zu schaffen. Die Nutzung der Räume sollte als Arbeitszeit gesehen werden um zu zeigen, dass Stille und Achtsamkeit einen wichtigen Beitrag zur persönlichen Entwicklung, zur Unternehmenskultur und somit auch zum Unternehmenserfolg beitragen können.
Natürlich sind Silence Spaces alleine noch keine Lösung, aber sie können, sofern sie sinnvoll in einen Kontext eingebettet werden, einen wichtigen Beitrag zum Paradigmen-wechsel hin zu einer ganzheitlicheren Perspektive leisten, ein Nährboden für die Transformation sein und als Katalysatoren des Wandels wirken.
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